Liberale beschäftigen sich mit Umbruch im Einzelhandel
Im Rahmen der Jahresversammlung des FDP-Ortsverbands Böblingen referierte der Kreisvorsitzende der FDP, Hans Dieter Scheerer zum Thema „Einzelhandel, gestern, heute und morgen“. Rechtsanwalt Scheerer ist Lehrbeauftragter an der der Hochschule Pforzheim für Strategische Unternehmensführung. Er bringt aus seinen früheren Tätigkeiten als Bereichsleiter der Kriegbaum-Gruppe, der Metro und als Geschäftsführer der Immobiliengruppe der EDEKA umfangreiche eigene Erfahrungen zum Thema Handel mit.
Beginnend mit einem kurzen Rückblick in die Zeiten der Tante-Emma-Läden führte Scheerer seine Zuhörer über das Aufkommen der Einkaufszentren und der Discounter in die Gegenwart des Einzelhandels in Deutschland. Dessen Gesamtvolumen – Lebensmittel und Non-Food – stagniert seit circa 20 Jahren bei rund 500 Mrd. €. Der Anteil der über das Internet gekauften Waren liegt derzeit bei 10%. Man geht davon aus, dass der Handel über das Internet in den kommenden 15 Jahren auf 25% steigen wird. Der Internethandel unternimmt laut Scheerer große Anstrengungen bei der Logistik um immer besser die Erwartungen seiner Kunden erfüllen zu können. Die bestellten Waren sollen nicht mehr innerhalb von Tagen, sondern binnen Stunden beim Endkunden angeliefert werden. Die Bestellung übers Internet und die individuelle Abholung der kommissionierten Ware aus gekühlten Boxen ähnlich den Paketstationen der Post wird in den kommenden Jahren Einzug halten. Diese sogenannten „Drive-In’s“ sind beispielsweise in Frankreich und einer deutschen Großstadt bei großen Lebensmittelketten schon in Erprobung. Auch der seit längerem diskutierte intelligente Kühlschrank, der die Nachbestellung von Standardprodukten eines selbstdefinierten Warenkorbes selbst erledigt, wird kommen, ist Scheerer überzeugt. Voraussetzung für diese Entwicklungen ist, dass eine lückenlose Nachverfolgung einzelner Artikel über den gesamten Logistikweg möglich wird und die Kosten der dafür benötigten RFID-Chips (Radio-Frequency IDentification) weiter sinken.
Anschließend ging er auf die Entwicklung im heiß umkämpften Einzelhandelsmarkt in Deutschland ein. Schon heute, so schätzt die Wirtschaftsforschung, ist der Markt durch eine Überkapazität an Verkaufsflächen geprägt. In den alten Bundesländern liegt sie bei 20 Prozent, in Ostdeutschland bei 50 Prozent. Dieses Überangebot erzeugt einen gewaltigen Druck auf die Preise, speziell im Lebensmittelbereich. Dort sind die Preise laut Scheerer in den letzten beiden Jahrzehnten nicht gestiegen. Die Preiselastizität speziell des Lebensmittelmarktes ist erheblich und um keine Marktanteile zu verlieren orientieren sich die großen Lebensmittelketten bei der Preisgestaltung daher am sogenannten „Aldi Standard“.
In diesem Verdrängungswettbewerb, so zitiert Scheerer eine gängige Aussage in der Branche, wird „das Geld im Einkauf verdient“. Dabei entscheidet die schiere Größe und Marktmacht des Einkäufers über den Einkaufspreis beim Lieferanten. Im Gegenzug wird dann nicht selten mit den großen Einzelhandelsketten vereinbart, dass deren Gesamtverkaufsfläche in Deutschland jährlich wachsen muss um den Herstellern zusätzliche Verkaufsfläche bereitzustellen. Dies führt folglich zur weiteren Verschärfung der Situation.
Scheerer befürchtet, dass die schon heute sichtbare Bildung hin zu einigen wenigen großen Anbietern weitergehen wird. In diesem entstehenden Angebotsoligopol werden sich dann aber die Preise für den Verbraucher wieder erhöhen, das ist abzusehen. Die Frage ist, wo in diesem Szenario der kleine Einzelhändler bleibt? Die Forschung erwartet, dass er in weiten Teilen von filialisierten größeren Einzelhändlern ersetzt oder auf seinen Verkaufsflächen mit limitierten Marketingbudget und geringer Marktmacht nur als Nischenanbieter überleben kann, der mit Qualität und speziellen Services seine Kunden bei der Stange hält.
Die Städte und Gemeinden müssten diesen Entwicklungen in ihren Planungen Rechnung tragen, wenn sie ihre Innenstädte beleben wollen, meint Scheerer. Die Ansiedlung von lokalen Einzelhändlern zur Behebung oder Vermeidung von Leerständen eröffnet vor diesem Hintergrund alleine noch keine nachhaltigen Perspektiven. Alles in allem ist es eine gewaltige Herausforderung für die Politik, die Rahmenbedingungen im Einzelhandel richtig zu setzen. Das stellte sich im Anschluss an den aufschlussreichen Vortrag von Scheerer in der Diskussion heraus.